von Benedikt Kern und Julia Lis
Der Schreck saß tief, als die Fernlichter der Polizeiautos auf der Landstraße in der Nähe des Kraftwerkes Datteln IV hinter uns aufblinkten, wir angehalten wurden und uns schließlich einer Personalienüberprüfung bis hin zur Leibesvisitation unterziehen mussten, wir schließlich in einen Gefangenentransporter gesetzt wurden und uns in Unterwäsche in Einzelzellen des Polizeipräsidiums Recklinghausen wiederfanden. Die Ereignisse vom 1./2. Februar 2020 haben uns einmal mehr deutlich gemacht, welche Wirkung das NRW-Polizeigesetz zur Delegitimierung von Klimaprotesten entfalten kann und wie die Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen zur sogenannten Gefahrenabwehr massiv Grundrechte aushebelt.
Am Abend des 1. Februars 2020 vor den Protesten des Bündnisses „Ende Gelände“ am neuen Kraftwerk Datteln IV wurden wir TheologInnen und MitarbeiterInnen des Münsteraner Instituts für Theologie und Politik, Benedikt Kern und Julia Lis mit einem weiteren Begleiter, in Gewahrsam genommen und erst am nächsten Tag wieder freigelassen. Uns wurde dabei jedoch keine Straftat vorgeworfen, sondern allein die Tatsache am Kraftwerksgelände auf einer Landstraße vorbeigefahren zu sein und Proviant, Schlafsäcke und Wechselkleidung im Kofferraum zu haben, wurde uns als Begründung für eine Gewahrsamnahme angeführt. Unser Fahrzeug wurde beschlagnahmt und abgeschleppt, ein Handy wurde konfisziert, im Gewahrsam mussten wir uns unwürdigen Durchsuchungen aller Körperöffnungen unterziehen und die Nacht ohne Rechtshilfebelehrung oder die Möglichkeit eine_n AnwältIn zu kontaktieren halbnackt in Einzelzellen verbringen. Am nächsten Morgen wurde uns bei Freilassung ein dreimonatige Betretungsverbot eines mehrere Quadratkilometer großen Bereichs belegt. Das Vorgehen der Polizei war nicht nur unverhältnismäßig, sondern es gab ebenfalls Verstöße gegen Dienstvorschriften.
Als einziger Grund für diese Maßnahmen wurde die Gefahrenprävention angegeben, es handelte sich also um eine Präventivgewahrsamnahme (vgl. unser Interview auf dem Blog feinschwarz.net über die Ereignisse: https://www.feinschwarz.net/fuers-klima-ins-gefaengnis-datteln-4/ ). Diese entspricht einer Logik, die auch das neue Polizeigesetz durchzieht. Es geht dabei nicht mehr nur darum, dass die Polizei Straftaten aufklärt oder im Vorfeld verhindert, sondern darum Einschätzungen vorzunehmen, welche Personengruppen vielleicht aufgrund ihrer Haltung potentiell aus staatlicher Perspektive Straftaten verüben könnten und der Polizei Rechte einzuräumen, diese Personen bereits im Vorfeld entsprechend zu kontrollieren und ggf. sogar Betretungsverbote auszusprechen oder sie in Gewahrsam zu nehmen. So werden nicht mehr nur Taten strafrechtlich verfolgt, sondern Haltungen kriminalisiert. Letztlich ist damit ein verändertes Gesellschaftsverständnis verbunden: Es geht nicht einfach nur darum, Personen zu bestrafen, die gegen Gesetze verstoßen, sondern es geht darum „Feinde“ der Gesellschaft zu identifizieren, die diese potentiell gefährden könnten. So ein Vorgehen ist aber aus demokratietheoretischer wie aus menschenrechtlicher Perspektive äußerst gefährlich. Aus einer kritischen Gesinnung auf potentielle Gefährdung durch Straftaten zu schließen, bedeutet alle diejenigen, die sich für grundlegende Veränderungen stark machen unter einen Generalverdacht zu stellen und zu kriminalisieren. Als Maßnahme gegen feindliche Gesinnung gegenüber dem gesellschaftlich Hegemonialen, so sagte der Jurist Günther Jakobs bereits in den 1980er Jahren, etabliert sich ein „Feindstrafrecht“, das Ermittlungen und Haftmaßnahmen aufgrund von Verdachtsmomenten auf mögliche zukünftige Straftaten rechtfertigt. Im neuen NRW-Polizeigesetz ist ein Präventivgewahrsam bis zu vier Wochen möglich, was zeigt, dass die Durchsetzung eines „Feindstrafrechts“ voranschreitet.
Als TheologInnen, die am Institut für Theologie und Politik in Münster arbeiten, bewegen wir uns an der Schnittstelle von Kirche, Theologie und Sozialen Bewegungen. In der Tradition der Befreiungstheologie, die den meisten vor allem aus Lateinamerika vertraut ist, geht es uns dabei immer darum theologische und menschenrechtliche, gesellschaftliche sowie politische Fragestellungen zusammenzubringen und zwar aus der Perspektive einer globalen Gerechtigkeit und der Frage, wie sich unsere Welt so verändern lässt, das in ihr ein würdiges, gutes Leben für alle Menschen möglich wird. In diesem Sinne sehen wir auch einen Zusammenhang zwischen unserer Bildungs- und Forschungsarbeit zu christlichen Perspektiven auf Klimagerechtigkeit und unserer Beschäftigung mit den global beunruhigenden Entwicklungen einer autoritären Formierung. Während die kapitalistische Verwertungs- und Wachstumslogik zu einer immer größeren Zerstörung der Welt führt und unter der Klimakatastrophe Natur und Menschen, insbesondere im globalen Süden, immer mehr leiden, wird trotzdem weiter versucht, die herrschenden Verhältnisse durch eine autoritäre Formierung weiter zu stabilisieren. Insbesondere geht es dabei darum, jeglichen Protest, der nicht nur bestimmte Maßnahmen, sondern die politischen, ökonomischen und ideologischen Verhältnisse in ihrem Gesamtzusammenhang in Frage stellt, gesellschaftlich auszugrenzen und an den Rand zu drängen. Eines der Mittel dazu ist eine Repression, die diejenigen, die kritisch nach diesen Zusammenhängen fragen und grundlegende gesellschaftliche Veränderungen wollen, kriminalisiert und zu Feinden der Gesellschaft erklärt. Dieses Phänomen beobachten wir etwa im staatlichen und polizeilichen Umgang, mit den Teilen der Klimabewegung, die wie „Ende Gelände“ auch die Zusammenhänge zwischen der Klimazerstörung und globalen wirtschaftlichen Strukturen thematisieren.
So betrachten wir das, was uns, die wir als BeobachterInnen des Protestes vor Ort waren, hier zugestoßen ist, nicht als Einzelfall, sondern erkennen dahin eine Struktur, die uns alle auffordert kritisch hinzuschauen und unseren Protest deutlich zu bekunden. Rechtsstaatliche Standards werden von der Polizei selbst ausgehöhlt: Erstmal wird rechtswidrig gehandelt von behördlicher Seite, dann werden in einem juristischen Verfahren unter Umständen die Maßnahmen im Nachhinein für widerrechtlich erklärt. Dem liegt eine Logik zugrunde, die darauf setzt wird, dass Widerspruch ausbleibt und nur wenige Fälle beispielsweise von Polizeigewalt kritisch aufgearbeitet werden. Als Gegenstrategie erscheint es uns geboten, offensiv mit solchen Vorkommnissen umzugehen, sie öffentlich zu skandalisieren und dabei nicht in eine Einzelfall-Logik zu verfallen, sondern immer wieder gesellschaftlich für die strukturellen Probleme, die hier deutlich werden, zu sensibilisieren. Nicht nur wir wurden schließlich aufgrund unserer Beobachtung der „Ende Gelände“-Proteste mit einem Betretungsverbot belegt, sondern auch gegen JournalistInnen wurde in ähnlicher Weise vorgegangen. Aus Anlass der Repression gegen den Fotografen Björn Kiezmann haben wir eine Stellungnahme veröffentlicht (https://www.itpol.de/pm-pressefreiheit-in-gefahr/), in der wir erklärt haben: „Wenn solche Einschüchterungsstrategien wie sie in Datteln der Journalist Björn Kietzmann oder auch wir selber erfahren mussten, Schule machen, stellt das eine Gefahr für die Pressefreiheit und letztlich auch für die demokratischen Grundrechte dar. Besorgniserregend ist hier besonders, dass der polizeiliche Druck gerade deshalb so hoch ist, weil sich die NRW-Landesregierung wohl bewusst ist, dass mit dem Kraftwerk Datteln IV ein klimafeindliches Projekt durchgesetzt wird. Dagegen regt sich mit Recht in einer klimapolitisch sensiblen Zivilgesellschaft breiter Protest.“ Wenn wir uns öffentlich also zur Wort melden, tun wir das nicht nur in unserem eigenen Interesse, sondern weil wir den besorgniserregenden Entwicklungen etwas entgegensetzen wollen – auch im Namen all derer und gemeinsam mit allen, die durch Repression unter Druck gesetzt und mundtot gemacht werden (zur Dokumentation und Aufarbeitung haben wir mittlerweile eine Broschüre veröffentlicht: https://www.itpol.de/broschuere-zu-den-protesten-um-datteln-iv-und-grundrechtseinschraenkungen-erschienen/).
Unser öffentlicher wie auch juristischer Umgang mit den Ereignissen in Datteln ist nicht folgenlos geblieben: Wir haben eine Antirepressions-Mahnwache organisiert, an der Menschen aus den Kirchen wie aus der Klimabewegung solidarisch teilgenommen und ihren Unmut gegen das Vorgehen der Polizei zur Sprache gebracht haben, während ein großes Polizeiaufgebot mit Personalienfeststellungen etc versucht hat, die Menschen einzuschüchtern. Einerseits gab es für unseren offensiven Umgang mit der Repression viel Solidarität, sogar sogar mit Reaktionen aus Brasilien, Tunesien und den Niederlanden. Andererseits kam es auch zu rechten Diffamierungsversuchen gegen uns.
Auf dem juristischen Weg konnten wir bereits Erfolge verzeichnen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat bereits im Februar das polizeiliche Betretungsverbot für das Umfeld des Kraftwerkes zurückgenommen (https://www.itpol.de/verwaltungsgericht-gelsenkirchen-bezeichnet-handeln-der-polizei-als-rechtswidrig/). Über weitere Klagen gegen die präventive Gewahrsamnahme und ihre erniedrigende Art und Weise stehen noch Entscheidungen am Amtsgericht Recklinghausen und am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (https://www.itpol.de/theologinnen-klagen-gegen-polizeigewahrsam/) aus.
Die NRW-Landesregierung hat zudem in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage im Landtag ebenfalls ein Fehlverhalten der Polizei Recklinghausen eingestanden, unsere Behandlung für überzogen erklärt und Nachbesserungen im Vollzug von Gewahrsamnahmen bei der Polizei angemahnt (https://www.itpol.de/pm-nrw-landesregierung-haelt-handeln-der-polizei-fuer-ueberzogen/).
Dies werten wir als erste juristische und politische Signale, die die Absurdität der Einschüchterungspraxis der Polizei gegen Klimaproteste und die Solidarisierung mit ihr offenlegen. Um aber hier wirkliche Veränderungen zu erreichen, braucht es natürlich gesellschaftliche Kräfte, die diese Zusammenhänge kritisieren, Protest gegen die Strukturen organisieren, die solche Repressionen möglich machen und sich für grundlegende, umfassende Veränderungen, für eine weitgehende Demokratisierung unserer Gesellschaft einsetzen.
Eine abschließende Bemerkung: Das Kraftwerk Datteln IV ist am 30. Mai im Schatten der Coronakrise ans Netz gegangen. Dennoch hat es auch an diesem Tag breiten Protest vor Ort und dezentral gegeben. Das zeigt, dass zum einen die Empörung groß ist über die Inbetriebnahme durch den Konzern Uniper und zum anderen der Widerstand gegen Klimazerstörung und das „Weiter so“ der gesellschaftlichen Verhältnisse auch in der Corona-Krise nicht zum Erliegen gekommen ist – auch wenn der Protest noch lange nicht an sein Ziel gelangt ist.