„Einzelfälle“ mit System: Tödliche Polizeigewalt vor Gericht

Veranstaltung mit dem Solidaritätskreis Justice for Mouhamed (Dortmund) und der Initiative 2. Mai (Mannheim)

21. Februar, 19.30 Uhr – Im Stream auch auf Youtube (in deutscher Sprache)

Polizeigewalt gegenüber Menschen mit Rassismuserfahrung hat in Deutschland System: Überdurchschnittlich oft sind sie unter den Opfern tödlicher Polizeischüsse, tödlich verlaufender Einsätze und Tod im Gewahrsam. In rund drei Viertel dieser Fälle waren die Toten in einer psychischen Ausnahmesituation; ein zusätzlicher Gefährdungsfaktor ist die gesellschaftliche Ausgrenzung Armutsbetroffener. In der öffentlichen Darstellung setzt sich nach einem tödlichen Polizeieinsatz oft das Narrativ der Polizei durch, dass die Gewalt verharmlost und durch eine Täter-Opfer-Umkehr rechtfertigt. Nur selten führen Ermittlungen in solchen Fällen zur Anklage gegen die Täter*innen, noch seltener kommt es zu Verurteilungen. Deshalb ist von besonderer Bedeutung, dass momentan gleich mehrere Gerichtsprozesse wegen tödlicher Polizeigewalt unter solidarischer Prozessbegleitung stattfinden.

In Dortmund begann im Dezember der Strafprozess gegen fünf Polizist*innen, die am 8. August 2022 den jugendlichen Geflüchteten Mouhamed Lamine Dramé aus dem Senegal mit Pfefferspray und Tasern traktiert und schließlich mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole getötet haben. Dem 16-Jährigen legte die Dortmunder Polizei noch Handschellen an, als dieser schon im Sterben lag. Darüber hinaus versetzte der Einsatzleiter dem bereits am Boden Liegenden sogar noch einen Tritt. Diese Beobachtung hat ein Betreuer als Augenzeuge vor Gericht ausgesagt. Er hatte wegen der Befürchtung, Mouhamed könne sich selbst verletzen, die Polizei gerufen. Selbst die Staatsanwaltschaft hält das Vorgehen der Polizei für übermäßige Gewalt. Der Todesschütze muss sich deshalb wegen Totschlags, drei Beamt*innen wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt und der Einsatzleiter wegen Anstiftung verantworten.

Seit Januar stehen in Mannheim zwei Polizisten vor Gericht, die am 2. Mai 2022 Ante P. mit Pfefferspray und Schlägen überwältigten, am Boden auf dem Bauch liegend festhielten, mit Handschellen fesselten und – laut Gutachten der Rechtsmedizin in Heidelberg – dabei erstickten. Der 47-jährige hatte eine psychische Erkrankung und lebte seit 33 Jahren selbstständig in einer eigenen Wohnung. Sein behandelnder Arzt am Zentrum für seelische Gesundheit hatte die Polizei gerufen, da er besorgt war, dass Ante P. sich in Gefahr bringen könnte. Am Tattag waren am Marktplatz, einem migrantischen Viertel der Stadt, rund 70 Zeug*innen vor Ort, die 120 Bilder und Videos aufgenommen haben. Auch diesen Aufnahmen ist es zu verdanken, dass es nun zu einem Gerichtsprozess wegen Körperverletzung mit Todesfolge im Amt und fahrlässiger Tötung durch Unterlassen kommt. Kurz vor seinem Tod sagte Ante P.: „Ich will einen Richter“.

In Dortmund und Mannheim unterstützen die Soligruppen auch die Nebenklage von Angehörigen der Opfer. Sie fordern Gerechtigkeit für die Getöteten und Konsequenzen für Täter*innen. Auf der Veranstaltung im SO36 berichten sie über die ersten Verhandlungstage, die Verteidigungsstrategie der Angeklagten und ihre Erfahrungen als solidarische Prozessbegleiter*innen. Darüber hinaus sollen politische Forderungen diskutiert werden, um tödliche Polizeigewalt effektiv zu bekämpfen.

Veranstaltende: Solidaritätskreis Justice for Mouhamed | Initiative 2. Mai | Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/ CILIP | Recherchegruppe Death in Custody | Grundrechtekomitee | KOP Berlin | ISKS Berlin | Rote Hilfe OG Berlin | Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein | Initiative Schwarze Menschen in Deutschland

„Einzelfälle“ mit System: Tödliche Polizeigewalt vor Gericht